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Dr. Walter Korinek

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Dieser Blog wird nicht mehr aktualisiert

Liebe Freunde dieses Blogs,

mit dem letzten Beitrag „Wenn du ein Schiff bauen willst…“ werde ich diesen Blog nicht mehr weiter pflegen. AnsichtssachenIch möchte meine Texte stärker konzentrieren. deshalb werden alle künftigen Beiträge von mir von nun an nur noch auf „Ansichtssache
erscheinen. Dieser Blog ist auch über meine Homepage www.walterkorinek.de zu erreichen.

Ich bedanke mich bei allen bisherigen Lesern und hoffe, dass Sie mir auch auf dem neuen Blog folgen werden.

Mit besten Grüßen

Walter Korinek

Wenn Du ein Schiff bauen willst, … lehre die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer – und vermittle Bildung.

Ein Kommentar über den Gebrauch von Metaphern bei Bildungsreformen.

 von Walter Korinek

„Wenn Du ein Schiff bauen willst,so trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, die Arbeit einzuteilen und Aufgaben zu vergeben, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem endlosen weiten Meer!“ Der bekannte Satz von Antoine de Saint-Exupery ziert Unmengen pädagogischer Literatur unserer Zeit. Allerdings würde sich der Verfasser vermutlich im raschen Tempo rotierend im Grab drehen, wüsste er, in welchen Zusammenhängen die Aussage heute verfälscht wird.

Sehnsucht allein ist kein Allheilmittel

Oft wird Saint-Exupery heutzutage als Kronzeuge dafür missbraucht, dass es keinerlei Bildung, Fähigkeiten oder Fertigkeiten mehr bedürfe, um ein Werk schaffen zu können. Die Sehnsucht nach etwas würde schon ausreichen, um es auch realisieren zu können. Aber reicht das wirklich aus?

Saint-Exupery wollte mit seinem bekannten Satz aufzeigen, wie wichtig das Wollen ist, um in die Tat kommen zu können. In der heute gebräuchlichen Verballhornung des Zitats dagegen zeigt sich das Dilemma der Bildungslandschaft der letzten Jahre seit den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals wurde die Grundlegung zu der Meinung gelegt, dass jeder alles lernen könne, wenn er nur wolle und die Lehrer gut genug sind, es dem Lernenden gut beizubringen. Stellt man heute versuchsweise bei Google die Frage, ob jeder alles lernen könne, bekommt man fast nur noch zustimmende Aussagen. Die Tatsachen sprechen leider eine andere Sprache. Gibt es nicht genügend Menschen, die trotz erheblicher Bildungsbemühungen der Schulen extrem wenig Wissen haben, aber dafür umso mehr Meinung. Und gerade die schreien zur Zeit sehr laut: „Wir sind das Volk!“ Ob Ignoranz ein Produkt mangelnder Begabung ist, kann man bezweifeln, aber noch zweifelhafter scheint der grenzenlose Optimismus vieler Bildungsreformer.

Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln

Diese Aussage von Wilhelm von Humboldt fasst den Begriff der Bildung, wie er seit mehr als 200 Jahren als Grundlage allen schulischen Bemühungen galt. Parallel mit der Abschaffung der Begabung verschwand allerdings auch der Begriff der Bildung aus der pädagogischen Landschaft. Ging man bisher davon aus, dass ein Mensch über einen Grundbestand an Wissen und Kenntnissen verfügen muss, um als mehr oder weniger gebildet zu gelten, geht es heute nur noch um Kompetenzen. Beim Bildungsbegriff geht man davon aus, dass der Mensch in der Lage sein soll, sich ein „Bild“ von der Welt, von einer Sachlage machen zu können, um dann ggf. aufgrund dieses Urteils angemessen handeln zu können. Der Kompetenzbegriff verengt das Lernen auf die Bewältigung konkreter, praktischer Aufgaben. Eigenständige Beurteilung ist nicht mehr gefragt – und damit kommt es natürlich letztlich auch zu einer Nivellierung des Denkens an sich. Es geht nicht mehr darum, möglichst komplexe Niveaustufen denkerischen Handelns zu vermitteln, sondern nur noch darum, die Kompetenz zu haben, ein konkretes Problem – letztlich unabhängig von der geistigen Durchdringung – zu lösen.

Gleichzeitig wurde eine Verlagerung der Verantwortung für das Lernen vom Lernenden auf den Lehrenden vorgenommen. Seit etwa 30 Jahren ist nicht mehr der Schüler verantwortlich, ob er etwas gelernt hat, sondern versagt hat im Zweifelsfall der Lehrer oder die Schule oder das Schulsystem.

Leistung  ist der Quotient aus verrichteter Arbeit und der dazu benötigten Zeit. 

Diese physikalische Definition von Leistung entspricht im Wesentlichen auch dem üblichen Verständnis von Leistung – aber nicht mehr dem in der modernen Pädagogik. Hier geht es vornehmlich um ein mehr oder weniger kreatives Wollen mit relativ undefinierbaren Ergebnissen. Oft ist die rhetorisch gekonnte Präsentation des Wenigen wichtiger als die Substanz. Wenn sich Schüler heute – wie in der baden-württembergischen Gemeinschaftsschule – in Lernateliers nach ihrem eigenen Zeitplan mit Inhalten in unterschiedlichen Niveaustufen gemäß ihrer eigenen Selbsteinschätzung selbstorganisiert beschäftigen, ist von Leistung im herkömmlichen Sinn nicht mehr die Rede. Letztlich wird durch die Negation des Begabungs- und des Bildungsbegriffs auch das Leistungsprinzip überflüssig.

Damit wird allerdings das grundlegende Prinzip einer demokratisch-rechtsstaatlichen Bürgergesellschaft eliminiert. Leistung soll nach unserer Verfassung die Grundlage gesellschaftlichen Erfolgs sein und nicht Herkunft, Einfluss, Geschlecht oder die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen. Heute allerdings scheinen gerade diese Faktoren zu Lasten des Leistungsprinzips immer mehr an Einfluss zu gewinnen. Nicht selten spielt ja auch die rhetorische Begabung die entscheidende Rolle für Erfolg. So genannte Soft-Skills, also emotionale Faktoren, sind auf dem Vormarsch – zumindest im Schulbereich.

Sehnsucht und Bildung sind nötig

Für die Befürworter der  oben skizzierten pädagogischen Entwicklungen ist ein differenziertes Schulsystem überflüssig, ja schädlich. Es beruht ja letzten Endes auf dem humboldtschen Bildungsideal und dem Leistungsprinzip. Wenn es darum nicht mehr geht, ist das Konzept der Einheitsschule und der damit verbundene Paradigmenwechsel der Pädagogik nur folgerichtig. Die neue Schulart wirbt mit Versprechen nach leichter Erreichbarkeit von hohen Bildungsabschlüssen um Schüler und Eltern, ohne dass ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt worden wäre. Das Schlagwort des „individuellen Lernens“ gaukelt vor, dass die Erreichbarkeit von schulischen Qualifikationen möglich ist, indem Schüler nach ihren Neigungen und in ihrem individuellen Lerntempo selbstorganisiert  mit Unterstützung von Lernbegleitern lernen. Die Schule wird mehr und mehr von der Bildungseinrichtung zum Instrument des „Social Engineering“, mit dem ideologische Sichtweisen gesellschaftlich durchgesetzt werden.

Man muss sich  allerdings fragen, ob es zielführend ist, zugunsten eines Experiments mit fraglicher Begründung die fundierten und bewährten Grundlagen des Bildungswesens ohne Not aufzugeben. Vielleicht gibt es zu denken, dass die US-amerikanischen Eliteuniversitäten sich am humboldtschen Bildungsideal ausrichten. Man kann mit Fug und Recht bezweifeln, dass die Medizin nach der in der deutschen Bildungspolitik zurzeit gegriffen wird, ein probates Mittel für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft darstellt. Es ist zweifellos richtig, dass die Sehnsucht nach dem endlosen weiten Meer der Bildung die Grundlage des Lernens darstellt. Ebenso richtig ist allerdings auch, dass dies allein keine Basis für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft darstellt. Geboten ist neben guten Vorsätzen auch die Vermittlung von Bildung als Fundament eines mündigen Bürgers mitsamt einer leistungsorientierten Unterrichtsmethodik.

Sind Mauern oder Windmühlen angebracht?

Kehren wir zum Schluss noch einmal in die blumige Welt der Bilder zurück, die von den Bildungsreformern so gerne benutzt wird: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. Wer weiß, vielleicht haben die doch Recht, die sich mit Mauern vor allzu heftigen Stürmen schützen, vielleicht entpuppt sich aber auch der Wind des Wandels als laues Lüftchen, das mehr Bewegung verspricht, als es halten kann.

2014 im Rückblick

Die WordPress.com-Statistik-Elfen haben einen Jahresbericht 2014 für dieses Blog erstellt.

Hier ist ein Auszug:

Eine Cable Car in San Francisco fasst 60 Personen. Dieses Blog wurde in 2014 etwa 1.000 mal besucht. Eine Cable Car würde etwa 17 Fahrten benötigen um alle Besucher dieses Blogs zu transportieren.

Klicke hier um den vollständigen Bericht zu sehen.

Krimi aus dem Gesamtschulmilieu – ein doppeltes Lesevergnügen

Rezension


Bernd Franzinger

Schultheater

Ein Fall für Tannenberg. Kriminalroman

GMEINER , 2014
Kartoniert/Broschiert
Gmeiner Original
2014. 310 S.
ISBN/EAN: 9783839215937

schultheater

Der neueste Band von Bernd Franzinger ist ein Lesevergnügen der zweifachen Art. Das Kriminalistenteam um den knorrigen Hauptkommissar Tannenberg aus Kaiserslautern entlarvt nicht nur kriminelle Machenschaften, sondern zugleich auch die hohlen Phrasen, das leere Wortgeklingel und die emotionalisierten Heilsversprechen pädagogischer Reformeiferer. Dabei wirft der Autor, der im Hauptberuf als promovierter Erziehungswissenschaftler ein intimer Kenner der Szene ist, in vielen Szenen in humoriger Weise ein erhellendes Schlaglicht auf scheinheilige Strukturen deutscher Bildungslandschaften. Aber wie gewohnt bleibt für den Liebhaber von Kriminalromanen mit Lokalkolorit die Spannung nicht auf der Strecke und so deckt Hauptkommissar Tannenberg in diesem Roman nebenbei überraschende Zusammenhänge und Verbindungen der Pädagogen und Bildungspolitiker in seiner fiktiven Schullandschaft zur jüngsten deutschen Vergangenheit auf.

Das neueste Buch von Bernd Franzinger fordert von seinen Leserinnen und Lesern aus dem „progressiven“ Bildungsmilieu Toleranz und augenzwinkernde Selbstkritik. Wer sich darauf einlässt, erhält Stunden humorvollen und spannenden Lesevergnügens. Sehr empfehlenswert!

Karrieren

meistertipp.de, 03.04.2014

Handwerksmeister verdienen wie FH-Absolventen

Besonders für junge Leute ist es interessant zu hören, dass Handwerksmeister fast so viel wie Absolventen einer Fachhochschule verdienen. Das wurde jetzt wissenschaftlich belegt in einer Untersuchung der Lebensentgelte unterschiedlicher Bildungsgruppen. So verdienen sowohl der Handwerksmeister als auch der Absolvent einer Fachhochschule rund 2 Millionen Euro in ihrem gesamten Berufsleben und profitieren durch ihre Ausbildung von einer Bildungsprämie in Höhe von rund 900.000 Euro.

Bildung zahlt sich aus. Das belegten erneut die Arbeitsmarktforscher des staatlichen Forschungsinstituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. So wurde empirisch untersucht, welche Bruttoverdienste die Gruppen der Hochschulabsolventen, der Fachhochschulabsolventen, sowie der Personen mit und ohne Abitur und jeweils mit und ohne abgeschlossene Berufsausbildung über die Dauer ihrer Lebensarbeitszeit erwirtschaften.

Als Basis dienten dabei die Personen ohne Berufsausbildung, die über ihre gesamte Lebensarbeitszeit vom 19. bis 65. Lebensjahr im Durchschnitt 1.083.000 Euro verdienen. Personen ohne Abitur jedoch mit Berufsabschluss kommen demnach auf 1.325.000 Euro über ihre gesamte Erwerbskarriere hinweg. Bei Abiturienten beträgt das Lebensentgelt bei einer um zwei Jahre verkürzten Lebensarbeitszeit 1.561.00 Euro. Trotz der um weitere fünf Jahre reduzierten Lebensarbeitszeit verdienen Absolventen von Fachhochschulen 2.002.000 Euro und von Hochschulen 2.320.000 Euro.

Auf Wunsch des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) hat das IAB die Studie um die Berufsgruppe der Handwerksmeister erweitert und ermittelt, dass sie mit ca. 1.900.000 Euro nur knapp hinter den Absolventen der Fachhochschule rangieren. Auch Thomas Zimmer, Präsident der Handwerkskammer Oberfranken, freut sich: „Damit zeigt sich einmal mehr, dass Bachelorabschluss und Meisterbrief im deutschen und europäischen Qualifikationsrahmen zu Recht auf der gleichen Stufe stehen.“

Gleichzeitig beweist die Studie auch, dass im Vergleich zu ungelernten Personen die Bildungsprämie durch den Meisterbrief rund 820.000 Euro beträgt (FH-Absolventen 920.000 Euro) und damit nur knapp hinter der akademischen Laufbahn liegt. „Dass berufliche und akademische Bildung sich auch rein finanziell auf einer Augenhöhe befinden, wundert uns nicht“ zeigt sich Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken, Thomas Koller, zufrieden und unterstreicht damit die hohe Qualität der Ausbildung zum Handwerksmeister.

Quelle: http://www.meistertipp.de/aktuelles/news/handwerksmeister-verdienen-wie-fh-absolventen

 

Und nun zwei Rechenaufgaben dazu, die verdeutlichen, dass der Wunsch vieler Eltern „das Beste“ für Ihr Kind zu wollen, nicht unbedingt bedeuten muss, den gymnasialen Schulweg und eine anschließende akademische Ausbildung als allein zielführenden Weg anzusehen:

Aufgaben:

Berechne den Jahres- und Monatsverdienst der einzelnen Berufsgruppen:

TAbelle EQR

Zwei Berufskarrieren

Paul ist 16 Jahre alt und hat die Mittlere Reife. Er macht eine Ausbildung zum Zimmermann und verdient im Monat brutto 632 Euro (1. Lahrjahr), 971 € (2. Lj.), 1227 € (3. Lj.). Danach arbeitet er 3 Jahre in seinem Beruf und verdient 2250 € brutto im Monat. Anschließend geht er ein Jahr auf die Meisterschule; dort verdient er nichts. Nach einem Jahr hat er den Meistertitel und bekommt sofort eine Anstellung.

Quellen: http://www.gehaltsvergleich.com/gehalt/Zimmerer-Zimmerin.html und http://www.helpster.de/was-verdient-ein-zimmerer-wissenswertes-zu-berufsbild-und-verdienstmoeglichkeiten_125608#anleitung

Tamara ist ebenfalls 16 und hat an der Werkrealschule die Mittlere Reife abgelegt. Sie geht danach auf das Berufskolleg und legt dort die Fachhochschulreife ab. Danach macht sie ein einjähriges Praktikum und bewirbt sich um einen Studienplatz an einer Fachhochschule als Innenarchitektin. Sie bekommt den Studienplatz und studiert 7 Semester (= 3,5 Jahre) und schließt mit dem Grad eines Bachelor ab. Nach einem halben Jahr Praktikum im Ausland bekommt sie ihre erste Anstellung in ihrem Beruf.

Modell „Differenzierte Realschule“ in Baden-Württemberg

Angesichts der gravierenden Änderungen im baden-württembergischen Schulsystem entwickelte ich gemeinsam mit meinen Kollegen im Vorstand des Bündnisses pro Bildung BW e.v. eine Konzeption zur Weiterentwicklung des bewährten differenzierten Schulwesens (vgl Positionspapier weiter unten).

Ergänzend zu gymnasialen Schulwegen schlagen wir vor, äußere Differenzierungen als eigenständige Schulen einrichten.

  • Beispiel: „X-Schule. Realschule mit kaufmännisch-sprachlichem Profil“ oder „Y-Schule. Realschule mit technisch-gewerblichem Profil“ oder Z-Schule. Realschule mit allgemeinbildend-sprachlichem Profil“

diffrs2

  • Diese Differenzierungen führen formal zu den gleichen Abschlüsse (qualifizierter HS-Abschluss oder „Ausbildungsreife Basis“ nach Klasse 9, „Gehobene Ausbildungsreife“ (d. h. Mittlere Reife nach Klasse 10) – allerdings bei deutlich unterschiedlichen Profilen.
  • Profile könnten z. B. sein: gewerblich-technische Ausbildungsreife, sozialpflegerische Ausbildungsreife, kaufmännisch-sprachliche Ausbildungsreife oder allgemein-sprachliche Ausbildungsreife.
  • Ziel ist nach Klasse 9 eine „Ausbildungsreife Basis“ und nach Klasse 10 eine „gehobene Ausbildungsreife“ für leistungsstärkere Schüler. Schwächere Schüler sollen in einem differenzierten Bildungsgang auch erst nach Klasse 10 die Ausbildungsreife Basis ablegen können.

Diffrs

  • Schüler, die aufgrund von Behinderungen dem Bildungsgang der Differenzierten Realschule nicht oder teilweise nicht folgen können, müssen entsprechend der UN-Konvention durch ein sorgsam auf das einzelne Kind abgestimmte Hilfesystem in einem integrativ ausgerichteten Sonderschulsystem, das durch inklusive Systeme ergänzt wird, wirkungsvoll gestützt und auf die Teilhabe an unserer Gesellschaft vorbereitet werden.
  • In einem derartigen Schulmodell könnten die über Jahrzehnte erworbenen besonderen Qualifikationen der Schulen und Lehrkräfte im bisherigen differenzierten Schulmodell in doppelten Wortsinn aufgehoben werden. Einerseits würden diese Kompetenzen bewahrt und könnten sinnvoll weiterentwickelt werden, andererseits könnte in differenzierter Weise die Leistungsfähigkeit der bisherigen Hauptschulen, Werkrealschulen und Realschulen angehoben und gesteigert werden.
  •  Die differenzierte Realschule ist charakterisiert durch
    ➔ klare Zielorientierung,
    ➔ eine leistungsorientierten Bildungslandschaft
    ➔ und Profilbildung.

Positionsbestimmung (verfasst als Positionspapier für das Bündnis pro Bildung Baden-Württemberg e.V.)

 Die gegenwärtige Bildungspolitik in Baden-Württemberg ist durch eine Reihe von neuen Entwicklungen gekennzeichnet:

  •  Das bewährte differenzierte Schulsystem wird zu Gunsten der Idee der Gemeinschaftsschule zunehmend aufgelöst.
  • Die neue Schulart wirbt mit Versprechen nach leichter Erreichbarkeit von hohen Bildungsabschlüssen um Schüler und Eltern, ohne dass ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt worden wäre.
  • Das Schlagwort des „individuellen Lernens“ gaukelt vor, dass die Erreichbarkeit von schulischen Qualifikationen möglich ist, indem Schüler nach ihren Neigungen und in ihrem individuellen Lerntempo selbstorganisiert  mit Unterstützung von Lernbegleitern lernen.
  • Die Schule wird mehr und mehr von der Bildungseinrichtung zum Instrument des „Social Engineering“, mit dem ideologische Sichtweisen gesellschaftlich durchgesetzt werden.

Diese Entwicklung erscheint uns hoch problematisch. Bewährte Strukturen werden aufgelöst und durch Experimente ersetzt, deren Wirksamkeit wissenschaftlich fragwürdig sind. Es erscheint uns als Bündnis pro Bildung deshalb unabdingbar, die gesamte Diskussion um die Schule zu versachlichen und zu entideologisieren. Politische und wissenschaftliche Prämissen, die in den 60er- und 70er-Jahren entwickelt wurden und seitdem zur Leitidee der Bildungspolitik wurden, müssen sichtbar gemacht werden.

Der Begriff der „Bildung“ wurde ersetzt durch die Beschreibung der angeblichen Erfordernisse einer Informations- und Wissensgesellschaft. Das bedeutet, dass die Schule keinen Kanon an Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mehr zu vermitteln hat, sondern „Kompetenzen“. Das bedeutet in der Konsequenz eine Verengung auf die verwertbare Beschreibungen von Fähigkeiten, in einem bestimmten Bereich Dinge tun zu können. Das Modell einer Allgemeinbildung wird als veraltet dargestellt.

Eng verbunden damit ist die Grundidee der „Individualisierung“ als neue Leitidee von Schule. Ausgangspunkt ist die Aussage, dass die Schule sich dem Entwicklungsstand, dem Leistungsvermögen, den Interessen jedes einzelnen Kindes anpassen soll. Methodisch soll dies durch „Innere Differenzierung“ und „Individualisierung“ umgesetzt werden.  Die Idee des „Lernbegleiters“, des „Unterrichtscoachs“, ist die logische Fortsetzung dieser Grundidee. Dabei verlieren die vorgegebenen Lehr- und Lernziele ihre Wertigkeit, denn jeder Schüler erhält nach diesem Konzept seinen eigenen Bildungsplan. Beurteilt wird nicht die Zielerreichung, sondern der individuelle Lernfortschritt. Das neue Zauberwort heißt „Zieldifferentes Lernen“.  Es gibt kein Lernen in einer Lerngemeinschaft an einem verbindlichen Lerngegenstand mehr. Individuelle Förderung im Sinne einer effektiven Unterstützung durch eine kompetente Lehrkraft, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ist ebenfalls Schnee von gestern. Damit ist natürlich auch jede Leistungsbeurteilung, die sich an objektiven Zielen bemisst, unmöglich. Beobachtet und rückgemeldet werden nur noch die Lernfortschritte auf der Basis des letzten Standes jedes einzelnen Schülers. Was bedeutet das Anderes, als den endgültigen Abschied vom Leistungsprinzip in der Schule?

Die Gemeinschaftsschule ist die konsequente Umsetzung dieser gesellschaftlichen und pädagogischen Konzepte. Nicht ohne Grund wird von ihren Befürwortern von einem Paradigmenwechsel schulischen Lernens, ja von einer „Neuen Pädagogik“ gesprochen.

Die Diskussionen über die Gestaltung des Schulwesens in Baden-Württemberg bedarf wieder der Tiefe und des intellektuellen Niveaus auf welcher die Väter der Verfassung sich des Themas Bildung und Erziehung angenommen haben. Es geht nicht darum, ob Eltern eine bestimmte Schulart wie die Werkrealschule akzeptieren oder nicht. Es geht darum, den Verfassungsauftrag umzusetzen, nachdem jeder Mensch, ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung hat.

Ansatzpunkte zur bildungspolitischen Neustrukturierung

Angesichts der Einführung der Gemeinschaftsschule als bildungspolitisches Anliegen der grün-roten Landesregierung, möchten wir einen Ansatz für ein Gegenmodell zur Einheitsschule in die Diskussion zu bringen.

Grundsätzlich möchten wir vorausschicken, dass das Kernproblem nicht die Anzahl der Säulen darstellt, sondern es stellt sich die Frage, ob und wie es gelingt, die Schullandschaft in einer solchen Differenziertheit zu erhalten und sogar auszubauen, dass die Schulen oder Schularten:

  1. von ihrem Bildungsziel her definiert sind,
  2. der Leistungsgedanke wieder zum maßgeblichen Faktor schulischen Tuns wird,
  3. alle Schulen ein klares, zielorientiertes Profil haben,
  4. Schüler in ihrem Bemühen zur Erreichung dieser Ziele effektiv gefördert werden sollen und können,
  5. und damit das Recht jedes jungen Menschen ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung durch eine entsprechende Ausstattung der Schulen sichergestellt wird.

Keine Organisation, kein Unternehmen – und auch kein Schulsystem –  ist ohne klare Zielsetzungen und einer diesem Profil untergeordneten Kultur und Ausstattung überlebensfähig. Die Konstruktion der Individualisierung nach dem Motto der Kindorientierung als alleinige Zielsetzung ist nicht tragfähig.

Als zielorientiertes Gegenmodell zur individualisieren Einheitsschule müssen deshalb Modelle einer differenzierten und profilierten Ausbildungsreife stehen.

Deshalb schlägt das Bündnis pro Bildung folgende Schritte zum Erhalt und zur Weiterentwicklung einer differenzierten Schullandschaft vor:

  1. Aufbauend auf dem Modell einer einheitlichen Grundbildung in den Grundschulen bedarf es in der Sekundarstufe I einer differenzierten Schullandschaft, die sich in ihren unterschiedlichen Profilen sowohl den Schülern, den örtlichen Verhältnissen wie auch den Bedürfnissen unserer Gesellschaft verpflichtet sieht.
  2. Neben dem Gymnasium genießt die Realschule nach wie vor in der Bevölkerung und in der Wirtschaft eine hohe Akzeptanz und verfügt über eine nachgewiesene hervorragende Leistungsfähigkeit. Deshalb bildet sie in unserem Modell die Grundlage einer in sich differenzierten nicht-gymnasialen Säule des Schulwesens. Allerdings ist sie durch den großen Zulauf von Schülern, die nicht dem traditionellen Profil dieser Schulart entsprechen, mehr und mehr überfordert.
  3. Abhilfe könnte eine Schulstruktur bieten, die analog zu Profilbildungen im beruflichen Schulwesen äußere Differenzierungen als eigenständige Schulen vorhält. Beispiel: „X-Schule. Realschule mit sprachlich-künstlerischem Profil“ oder „Y-Schule. Realschule mit beruflichem Profil“.
  4. Diese Differenzierungen müssen formal zu den gleichen Abschlüsse (qualifizierter HS-Abschluss oder „Ausbildungsreife“ nach Klasse 9, Mittlere Reife nach Klasse 10) führen, allerdings bei deutlich unterschiedlichen Profilen. Profile könnten z. B. sein: allgemeine Ausbildungsreife mit sprachlich-künstlerischem Schwerpunkt oder eine Ausbildungsreife mit beruflichem Schwerpunkt bei jeweiliger Binnendifferenzierung in gewerblich-technische Ausbildungsreife, sozialpflegerische Ausbildungsreife, kaufmännisch-sprachliche Ausbildungsreife.
  5. Schüler, die aufgrund von Behinderungen dieses Ziel nicht erreichen können, müssen entsprechend der UN-Konvention durch ein sorgsam auf das einzelne Kind abgestimmte Hilfesystem in einem integrativ ausgerichteten Sonderschulsystem, das durch inklusive Systeme ergänzt wird, wirkungsvoll gestützt und auf die Teilhabe an unserer Gesellschaft vorbereitet werden.

In einem derartigen Schulmodell könnten die über Jahrzehnte erworbenen besonderen Qualifikationen der Schulen und Lehrkräfte im bisherigen differenzierten Schulmodell in doppelten Wortsinn aufgehoben werden. Einerseits würden diese Kompetenzen bewahrt und könnten sinnvoll weiterentwickelt werden, andererseits könnte in differenzierter Weise die Leistungsfähigkeit der bisherigen Hauptschulen, Werkrealschulen und Realschulen angehoben und gesteigert werden.

Damit wären die Forderungen nach klarer Zielsetzung und Profilbildung erfüllt und gleichzeitig könnte unter deutlicher Absetzung vom Gemeinschaftsschulmodell eine attraktive bildungspolitische Alternative und Akzentsetzung erreicht werden.

Ein Artikel wie eine klassische Tragödie

Ein Beitrag zum Artikel von Jeanette Otto in „DIE ZEIT“ vom vom 12.12.2013

von Walter Korinek

Ein Artikel wie eine klassische Tragödie: Jeder der Protagonisten trägt seinen kleinen Teil Wahrheit, aber alle diese Aspekte sind unverbunden, die Spieler auf der Bühne sind nicht in der Lage miteinander zu kommunizieren.

Die interessanteste Gestalt ist für mich darin der Rektor der Schule am Schluss des Beitrags. Seine Schule nennt sich zwar modisch Gemeinschaftsschule, das Etikett passt aber nicht zum Inhalt. Schlagworte dieser Schulart sind „Individualisierung“, „Lernateliers“, „Lernbegleiter“, „Verbot der äußeren Differenzierung – also Unterricht in Leistungsgruppen“ – all dies beachtet er seinen eigenen Worten zufolge nicht und hat damit Erfolg.

Ist das das Geheimnis funktionierender Gemeinschaftsschulen?


Zeit ottohttp://www.zeit.de/2013/51/schule-baden-wuerttemberg-bildungsreform?commentstart=1#cid-3242807

Inklusion – Idee oder Ideologie?

Um was geht es bei der UN-Charta zur Inklusion?

Es geht darum, dass alle Kinder der Welt Zugang zur Bildung haben – es geht nicht um das, was bei uns in Deutschland als Inklusion angepriesen wird. Wir haben bzw. hatten eines der besten Hilfssysteme für behinderte Menschen auf der Welt, das jetzt im Zuge der Inklusionsdebatte – auch im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsschule in BW – gefährdet ist. 

Hier sieht man, welche Menschen die UN-Charta im Fokus hat:

Meine Frau und ich besuchten im Sommer 2013 in Namibia ein Himba-Dorf; die Menschen leben auf einem äußerst niedrigen Lebensstandard und werden von Tourismusunternehmen mehr oder weniger ausgebeutet als Schauobjekte (auch wir fühlen uns in dieser Hinsicht schuldig) – Bildung eröffnet den Weg zu einem modernen Leben. Aber die nächste Schule ist sehr weit weg!!! Als ich in Namibia war, wurde mir so richtig klar, was Bildungsanspruch für alle bedeutet – nämlich die Alternative zwischen einem Leben in absoluter Armut (und das ist etwas anderes als Hartz 4) und der Chance auf Teilhabe am Leben. Aus unserer Sicht werden die Himba von Tourismusfirmen erbarmungslos ausgebeutet: für etwas Mehl sollen sie genau so weiterleben, die Frauen werden teils prostituiert (ein italienischer Reiseveranstalter bot an: Besuch im Himbadorf + Sex mit einer Himba). Die nächste Schule von „unserem“ Dorf liegt ca. 20km entfernt. Dorthin führt nur ein Fußpfad durch die Steinwüste oder der „Kalahari-Express“ (Eselkarren). Die Schule ist zwar kostenlos, aber nicht der Schulweg, die Unterrichtsmaterialien oder das Internat. Dort zu helfen: Das will die UN-Bildungscharta und nicht das, was gerade im Zuge der sogenannten Inklusion in Deutschland gemacht wird!!!

 Der Artikel 7 der UN-Konvention zur Rechte von Behinderten von 2006 sagt über Kinder mit Behinderungen:

„(1) Die Vertragsstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten,
dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern alle  Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können.
(2) Bei allen Maßnahmen, die Kinder mit Behinderungen betreffen, ist das Wohl des  Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“

Weiter heißt es in Artikel 24:

„(2) Bei der Verwirklichung dieses Rechts stellen die Vertragsstaaten sicher, dass
a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden; dass
b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben;
c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;
d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern;
e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen
in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden.“

Nun sieht man ja sehr deutlich, dass der Sinn dieser Konvention nicht darin liegt, behinderte Kinder unbedingt und ständig in der gleichen Klasse wie nicht behinderte Kinder zu unterrichten. Der Sinn liegt vielmehr im Schutz Behinderter! In der Regel lässt sich dieser Schutz und die Förderung in einem integrativen Modell weit besser verwirklichen als in einer inklusiven Einheitsbeschulung. Dies zeigt ein Blick in die Praxis. Keine Regelschule kann eine gleichwertige Förderung bieten, wie dies in Sonderschulen täglich praktiziert wird. Offensichtlich ist dies bei Kindern und Jugendlichen mit körperlichen Einschränkungen, aber selbst bei Schülern der Schule für Erziehungshilfe wird dies im Alltag eklatant deutlich: Oft sind diese Kinder nur über kurze Zeit in der Lage, mit 25-30 Gleichaltrigen zusammen arbeiten zu können; wenn sie aber dann wieder in einen geschützten Rahmen einer Außenklasse zurückkehren können, sind sie sehr wohl fähig, wieder etwas zu lernen.

Viele Menschen, die sich so sehr vehement für die vollkommene Inklusion einsetzen, können zu dieser Auffassung nur aus der Idee der unbedingten Gleichbehandlung aller Menschen kommen. Ungleiche aber gleich zu behandeln, gehört zu den schlimmsten Ungerechtigkeiten. Und so muss man leider konstatieren: Eine Idee ohne Wahrnehmung von  Realität verkommt zur Ideologie.

Ist die Gemeinschaftsschule nur ein anderes Etikett für die Werkrealschule?

von Walter Korinek

Nicht selten wird auch von Befürwortern des differenzierten Schulsystems die Werkrealschule sehr undifferenziert beschrieben. Hier ein Beispiel, das den besonderen pädagogischen Ansatz dieser Schulart veranschaulicht:

Die Werkrealschule (WRS)  hat einen besonderen pädagogischen Ansatz, der in keiner Weise mit der Gemeinschaftsschule (GMS) zu vergleichen ist. Während die GMS durch ihre spezifische Pädagogik auf ein selbstorganisiertes Lernen setzt,  das nach Meinung namhafter Experten wie Prof. Trautwein, Uni Tübingen,gerade leistungsschwächere Schüler benachteiligt, führt die WRS wie die Realschule  zu einer Mittleren Reife und vermittelt durch eine sehr spezielle Berufsvorbereitungskonzeption gerade die Fähigkeiten, Fähigkeiten und das Wissen,  die für eine Ausbildung im dualen System erforderlich sind.

Charakteristisch für die Anhänger und Befürworter der Gemeinschaftsschule ist , dass ein Impetus hinter der Argumentation steht, als ob an dieser Schulart die gesamte Pädagogik neu erfunden würde. Die Eltern werden mit einer Fülle von nicht mit Inhalt gefüllten Begriffen überflutet, die allesamt den zu erwartenden großartigen Erfolg dieser Schule belegen sollen. Empirische Belege für die Effektivität des pädagogischen Ansatzes? Fehlanzeige!

Das Argumentieren mit einer Fülle pädagogischen Fachbegriffen und Fremdwörtern (Instruktion, Kooperatives Lernen, Inklusion, Individualisierung, zieldifferentes Lernen, Lehrerinput, heterogene Lerngruppen, rhythmisierte Lernzeit, Kompetenzraster)) und Worthülsen (Lernentwicklungsbegleitung, Vielfalt als Bereicherung, Lernatelier, neue Lernkultur) – alles  Zitate aus einschlägigen Broschüren – ersetzt keine Beweisführung. Hochemotional wird es, wenn dann von Vertretern dieser Schulform Äußerungen kommen, dass die Lehrerinnen und Lehrer der Schule mit „Herzblut“ dort wirken würden und sich „in ihrer Freizeit“  in all die schönen neuen Dinge wie Lerncoaching, selbstverantwortliches Lernen – individuell und in variablen Gruppen – und schülerzentrierte Unterrichtsmethoden einarbeiten würden. Wird damit ausgesagt, dass die Lehrerinnen und Lehrer der anderen Schularten weniger engagiert sind?

Soll auf diese Weise die Öffentlichkeit und sollen so die Eltern der zukünftigen Schüler der Gemeinschaftsschule überzeugt werden?

Die Schule als Fluggesellschaft, die Klasse als Flugzeug, der Lehrer als Pilot – eine Streitschrift für eine neue Sicht der Bildungsdebatte

von Walter Korinek

Betrachte ich die Diskussionen um die Schule drängt sich mir immer wieder das folgende Bild auf. Ähnelt das Schulsystem heute nicht immer mehr einer Fluggesellschaft, die von sich selbst behauptet „Wir können alles, was Sie als Passagiere von uns verlangen“. Dem einen bietet sie vor allem ein gutes Essen und erlesene Weine an, dem anderen einen ruhigen Schlaf, dem nächsten die Erreichung der unterschiedlichsten Ziele dieser Welt, eine perfekte medizinische Versorgung.

Schule-als-Flugzeug-2Das Management verspricht allen alles und verbreitet den Slogan „Mit uns können Sie alles erreichen, was Sie wollen.“ Die Manager selbst sind keine Piloten, haben in der Regel keinerlei fliegerische Erfahrungen, verstehen sich selbst als absolut kundenorientiert. Unternehmens­berater der unterschiedlichsten Beratungsfirmen sind auf allen Ebenen tätig. Fortbildungen für das fliegende Personal werden zunehmend extern zur Steigerung der diversen auseinanderstrebenden Ziele der Gesellschaft angeboten. Die Verwaltungsebene der Gesellschaft wächst im Verhältnis zum fliegenden Personal, die administrative Ebene gewinnt an Wichtigkeit, da alle diese Aufgaben organisiert werden müssen. Diskutiert werden immer mehr Strukturfragen, wie diese Diversifikation optimal erreicht werden kann.

Die Schulklasse ist vergleichbar mit einem Flugzeug, in das Passagiere einsteigen mit den unterschiedlichsten Reisezielen, den unterschiedlichsten Erwartungen hinsichtlich dessen, was dort angeboten wird – und alles mit der selbstverständlichen Erwartung, dass all diese Wünsche von der Besatzung schnellstmöglich, effektiv und effizient umgesetzt werden.

Die Piloten und die Besatzung eines solchen Flugzeugs wissen nicht, wie sie mit diesen unterschiedlichen Erwartungen zurecht kommen sollen, sie haben keine klaren Aufgaben und Ziele. Persönlich ist das fliegende Personal desorientiert, Burn-Out-Symptome treten verstärkt auf. Letztlich bleibt das Flugzeug auf dem Boden, denn niemand weiß, wo es hin fliegen soll.

 

Was hat dieses Bild mit der Schule heute zu tun?

 In der baden-württembergischen Landesverfassung Art. 11(1) ist die Aufgabe des Schulwesens klar formuliert:

(1)     Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung.

Jahrzehntelang herrschte Klarheit über die Umsetzung dieses Verfassungsauftrags. Es gab im Wesentlichen drei Säulen des Schulsystems, die von ihrer Zielsetzung, ihren Methoden, ihrem Anspruchsniveau klar unterschieden war. Ebenso deutlich war das Ziel von Schule definiert:

 (2) Die Schule hat den in der Landesverfassung verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag zu verwirklichen. Über die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten hinaus ist die Schule insbesondere gehalten, die Schüler

in Verantwortung vor Gott, im Geiste christlicher Nächstenliebe, zur Menschlichkeit und Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zur Achtung der Würde und der Überzeugung anderer, zu Leistungswillen und Eigenverantwortung sowie zu sozialer Bewährung zu erziehen und in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und Begabung zu fördern,

zur Anerkennung der Wert- und Ordnungsvorstellungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu erziehen, die im einzelnen eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht ausschließt, wobei jedoch die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie in Grundgesetz und Landesverfassung verankert, nicht in Frage gestellt werden darf,

auf die Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten vorzubereiten und die dazu notwendige Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu vermitteln,

auf die Mannigfaltigkeit der Lebensaufgaben und auf die Anforderungen der Berufs- und Arbeitswelt mit ihren unterschiedlichen Aufgaben und Entwicklungen vorzubereiten.

(3) Bei der Erfüllung ihres Auftrags hat die Schule das verfassungsmäßige Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, zu achten und die Verantwortung der übrigen Träger der Erziehung und Bildung zu berücksichtigen.

Die Schule hatte einen in den Bildungsplänen ausgeführten Bildungsauftrag mit der Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, gleichberechtigt daneben einen Erziehungsauftrag mit dem Ziel, dass der Schüler persönlich und als Mitglied der Gesellschaft auf sein Erwachsenenleben vorbereitet werden soll.

Punktum. Die Aufgabenstellung war klar, die Bildungspläne überschaubar und vor allem beides war von der einzelnen Schule, dem Lehrer, der Lehrerin leistbar.

Der „Sündenfall“ kam mit den gesellschaftspolitischen Ansätzen der 60er und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Gesellschaft sollte umgestaltet werden in Richtung mehr Demokratie (was auch immer darunter verstanden wurde, hier gingen die Richtungen sehr weit auseinander), vor allem aber war das Mittel dazu klar: Die Veränderung der Gesellschaft sollte über die Erziehung der Kinder und Jugendlichen erfolgen. Nach anfänglichen Suchbewegungen mit Idee wie der „Entschulung der Gesellschaft“ (Ivan Illich), der „antiautoritären Erziehung“ (die Summerhill-Schule von A.S. Neil) wurde der „Weg durch die Institutionen“ – wie es Rudi Dutschke formulierte – eingeschlagen. Pädagogik wurde zum strategischen Ansatzpunkt gewünschter gesellschaftlicher Veränderung. Theoretische Grundlagen lieferten u.a.  die Frankfurter Schule mit ihren Vertretern Max Horkheimer, Erich Fromm, Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno, Jürgen Habermas. Sie alle waren davon überzeugt, dass die in der bürgerlichen Familie entwickelten Autoritätsverhältnisse die Entstehung autoritärer Charaktere  begünstige, die den Nährboden für den Faschismus geliefert hätten, und somit den Anforderungen der Gegenwart nicht mehr entsprächen.

Pädagogisch wirksam wurden nun Grundideen von Rousseau und der Reformpädagogik. Man ging nun grundsätzlich davon aus, dass der Mensch gut sei und dass man das Kind sich selbst entsprechend seiner Natur entfalten lassen müsse, ohne es negativ zu beeinflussen. Als negativ wurden die anfangs zitierten Grundlagen und die damit verbundenen Vorgaben des Schulrechts betrachtet, die als staatliche Vorgaben gegen das natürliche Recht des Indivduums aufgefasst wurden.

In den Folgejahren entwickelte sich aus diesen Grundideen, die hier undifferenziert und vereinfacht wiedergegeben wurden, eine Pädagogik, die durch folgende Kriterien zu beschreiben ist:

Die Schule hat die Aufgabe, politische Ideen auf der gesellschaftlichen Ebene umzusetzen. Der ursprüngliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, wie er im § 1 Schulgesetz definiert ist, wurde zu einem auf die Gesamtgesellschaft bezogenen Auftrag. Schule wurde mit all jenen Aufgaben belastet und überlastet, die andere gesellschaftliche Institionen nicht leisten konnten. Dazu gehört u.a. die Integration von Migranten, die Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheitsprophylaxe in den unterschiedlichsten Gebieten, die Herstellung von Chancengleichheit u.v.m.

Der Begriff der „Bildung“ wurde durch die vage Beschreibung der Informations- und Wissensgesellschaft ersetzt. Das bedeutet, dass die Schule keinen Kanon an Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten mehr zu vermitteln hat, sondern „Kompetenzen“. Das bedeutet in der Konsequenz eine Verengung der Qualifikationen über die ein Schüler verfügen muss auf individuell verwertbare Beschreibungen von Fähigkeiten, in einem bestimmten Bereich Dinge tun zu können.

Eng verbunden damit ist die Grundidee der „Individualisierung“ als neues Paradigma von Schule. Nicht die Schule hat Ziele und ein Spektrum von Ressourcen, um diese erfolgreich vermitteln zu können, sondern im Fokus stehen allein die höchst unterschiedlichen Voraussetzungen, Prägungen, Begabungen und persönlichen Ziele, welche das Kind oder der Jugendliche mitbringen. Methodisch soll dies durch „Innere Differenzierung“ und „Individualisierung“ so umgesetzt werden, dass die Lehrerin oder der Lehrer im Unterrricht für „jeden Schüler ein individuelles Lernpäckchen“ schnüren soll, wie es ein leitender Schulamtsdirektor ausdrückte. Die Idee des „Lernbegleiters“, des „Unterrichtscoachs“ ist die logische Fortsetzung dieser Grundidee.

Die Gemeinschaftsschule ist die konsequente Umsetzung all dieser gesellschaftlichen und pädagogischen Ideen.

Kritik aus der Innensicht von Schule

Als Lehrer und Schulleiter erlebe ich die Schule heute als ein höchst verwirrendes System, das von größtmöglicher Diversifikation gekennzeichnet ist. Ein Konglomerat von höchst unterschiedlichen Zielen der verschiedensten an diesem System beteiligter Menschen und Gruppen treffen in den Lehrerzimmern, Klassenräumen und Rektoraten unvermittelt aufeinander:

·        Eltern, welche die bestmögliche Ausbildung für Ihr individuelles Kind wünschen und einfordern,

·        Schüler, die auf ihrem jeweiligen Entwicklungsstand agieren,

·        Medien, die aus der Außensicht schulische Zusammenhänge beschreiben und kritisieren,

·        Politiker, die ihre gesellschaftlichen Ziele mit dem System Schule erreichen wollen,

·        Erziehungswissenschaftler, die mehr oder weniger praxisorientiert, ihre Forschungsergebnisse umgesetzt haben wollen,

·        Stiftungen und Lobbygruppen, die durch große empirische Metauntersuchungen, indirekt Einfluss auf schulische Aufgabenstellungen und Handlungen nehmen,

·        eine wachsende Zahl von Schulverwaltungsbeamten, welche pädagogische Ziele der jeweiligen Landesregierung durchsetzen sollen (und manchmal wollen),

·        Schulträger, die mit den finanziellen Belastungen, welche diese Ziele mit sich bringen, überlastet sind.

 

Die Auflistung ist unvollständig und nahezu unbegrenzt ergänzbar.

 

Es ist nicht verwunderlich, dass ein solch umkämpftes Terrain, in dem auch mit Nebelkerzen und jeder Menge Desinformation und psychologischer Kriegsführung agiert wird, unübersichtlich wird. Es erstaunt deshalb auch nicht, wenn Eltern, die in aller Regel nur das Beste (oder das, was aus Ihrer subjektiven, augenblicklichen Sicht als das momentan Beste erscheint) für ihr Kind wollen, irrationale Entscheidungen treffen. Vielen erscheinen Strukturdebatten, hinter denen ja auch ernst zu nehmende wirtschaftliche Zwänge stehen, als die Lösung der geschilderten Probleme. Und nicht zuletzt spielen Prestigegründe, Standortsicherungsdenken und berechtigte Sorgen um den Arbeitsplatz Schule eine nicht zu unterschätzende Rolle in der augenblicklichen Diskussion um das „Sorgenkind Schule“.

 

Fazit:

 

Es erscheint mir unabdingbar, die gesamte Diskussion um die Schule dringend zu versachlichen und zu entideologisieren. Politische und wissenschaftliche Prämissen, die in den 60er- und 70er-Jahren entwickelt wurden und seitdem zum latenten Main-Stream im wissenschaftlichen, aber auch allgemeinen Denken und vor allem in den Medien wurden, müssen sichtbar gemacht werden. Debatten dürfen nicht mehr vorwiegend an Strukturfragen angeknüpft werden, sondern müssen auf der Ebene der ideologischen Hintergründe geführt werden. Jede Kritik greift zu kurz, wenn sie nicht gleichzeitig die zugrunde liegenden ideologischen Prämissen offen legt und kritisiert.

 

Stattdessen ist eine Diskussion zu führen über die Kernaufgaben schulischer Bildung, über die Erfüllung der Vorgaben unserer Verfassung und die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der einzelnen Schulen.

 

Ein Beispiel: Dazu gehört, dass z. B. solche Aussagen in Frage gestellt werden, die laufend das Schulsystem kritisieren, weil es angeblich nur unzureichend schafft, den sozialen Hintergrund auszugleichen. Es wird gar nicht mehr gefragt, ob bzw. in welchem Maß es möglich ist, Prägungen, Erfahrungen, spezifische Haltungen etc. durch schulische Maßnahmen auszugleichen, die in früher Kindheit im Elternhaus angelegt – oder eben nicht angelegt wurden. Wahrnehmungen, die eigentlich jeder Mensch mit offenen Sinnen macht, werden durch latent geltende ideologische Behauptungen, aus dem Bewusstsein gedrängt.

 

Es gibt eine Menge wissenschaftlicher Befunde, die anzweifeln, dass frühkindlich erworbene Defizite oder – wertfrei betrachtet – Haltungen später durch pädagogische Maßnahmen kompensiert werden können. Ich zweifle nicht an, dass solche Änderungen möglich sind, aber sie geschehen vorrangig nicht durch schulische Anstrengungen von Lehrkräften, sondern durch individuelle, persönliche Willensentscheidungen und – anstrengungen des einzelnen Menschen.

 

An diesem Beispiel sieht man, in wie hohem Maß die momentane Debatte um das Schulwesen vom jeweiligen Menschenbild und/oder philosophischen Gedanken gesteuert wird. Hier stellt sich doch letztlich die philosophische Frage nach dem Stellenwert, das man dem freien Willen des Individuums zubilligt. Zugespitzt: Betrachtet man den Menschen als ein freiheitsbestimmtes, durch den eigenen freien Willen gesteuertes Wesen oder ist er Produkt der ihn umgebenden, prägenden Gesellschaft. Im ersten Fall hat – bezogen auf unser Beispiel – die Schule ein Bildungs- und Erziehungsangebot zu machen, das je nach Entwicklungsstufe des Schülers mehr oder weniger freiwillig angenommen werden kann. Aber die Entscheidung bzw. die Verantwortung über die spätere Annahme und damit über den Erfolg der Maßnahme liegt beim Individuum und nicht bei der Schule.

 

Man sieht hierbei deutlich, wie sehr Menschenbilder und Ideologien Raum gegriffen haben, die den Menschen nicht mehr als selbstverantwortliches Wesen sehen, sondern als Produkt der ihn umgebenden sozialen und kulturellen Einflüsse. Es scheint so, dass der „Marsch durch die Institutionen“, zu dem der SDS und die anderen Gliederungen der linken Bewegung im letzten Jahrhundert aufbrachen, erfolgreich war. Zwar redet niemand mehr im Jargon dieser Zeit, aus den Maoisten der 68er-Zeit wurden honorig daherkommende Politiker. Das äußere Bild hat sich gewandelt, aber der Kern der inneren Ideen blieb der Gleiche.

 

 

Ansatzpunkte zur bildungspolitischen Neustrukturierung

Angesichts der Einführung der Gemeinschaftsschule als bildungspolitisches Anliegen der rot-grünen Landesregierung, versuche ich im Folgenden einige Aspekte der Strukturdebatte zu beleuchten und Ansätze für ein Gegenmodell zur Einheitsschule in die Diskussion zu bringen.

 Grundsätzlich möchte ich vorausschicken, dass das Kernproblem nicht die Anzahl der Säulen darstellt, sondern es stellt sich die Frage, ob und wie es gelingt, die Schullandschaft in einer solchen Differenziertheit zu erhalten und sogar auszubauen, dass die Schulen oder Schularten:

 1.      von ihrem Bildungsziel her definiert sind,

2.      ein klares, zielorientiertes Profil haben.

Das Gymnasium entspricht ebenso wie die Schulen im beruflichen Schulwesen diesen Kriterien. Die Erlangung der Studierfähigkeit ist das erklärte Ziel jeder gymnasialen Bildung und wird auch konsequent verfolgt. Im beruflichen Schulwesen ist das Ziel immer eine berufliche Qualifikation, so unterschiedlich diese auch immer sein mag. Nur im Sekundarschulbereich I meint man seit einiger Zeit darauf verzichten zu können und setzt stattdessen auf das anfangs beschriebene Modell der individuellen Förderung mit dem Slogan „Vom Kind her denken“.

Als zielorientiert Gegenmodell müssten in diesen Schularten dagegen Modelle einer differenzierten und profilierten Ausbildungsreife stehen. 

Eigentlich gibt es  ja ein solches Modell mit dem Drei-Säulen-Modell in Verbindung mit dem ausgebauten beruflichen Schulwesen und so wäre es eigentlich die erste Präferenz, dieses bewährte Modell aus HS/WRS, RS und GY zu stärken und weiter zu entwickeln.

Nun stellt sich allerdings das nicht von der Hand zu weisende Problem, dass die erste Säule HS/WRS in der Öffentlichkeit einen gravierenden Mangel an Akzeptanz aufweist. So ist zu fragen:

1.      Wie kann die Realschule vor einer Überflutung durch leistungsschwache Schüler, die bisher an den Hauptschulen bzw. auch an den Sonderschulen und E unterrichtet wurden, geschützt werden, um das ihr bewährtes Profil zu erhalten?

2.      Könnte man unter einem Sammelnamen (Arbeitstitel „Mittelschule“) – vielleicht analog zu Profilbildungen im beruflichen Schulwesen oder z. B. in den Niederlanden – äußere Differenzierungen als eigenständige Schulen einrichten? Beispiel: „X-Schule. Mittelschule mit sprachlich-künstlerischem Profil“ oder „Y-Schule. Mittelschule mit beruflichem Profil“

3.      Diese Differenzierungen müssten formal zu den gleichen Abschlüsse (qualifizierter HS-Abschluss oder „Ausbildungsreife“ nach Klasse 9, Mittlere Reife nach Klasse 10) führen, allerdings bei deutlich unterschiedlichen Profilen. Profile könnten z. B. sein: allgemeine Ausbildungsreife mit sprachlich-künstlerischem Schwerpunkt oder eine Ausbildungsreife mit beruflichem Schwerpunkt bei jeweiliger Binnendifferenzierung in gewerblich-technische Ausbildungsreife, sozialpflegerische Ausbildungsreife, kaufmännisch-sprachliche Ausbildungsreife. Damit wären die Forderungen nach klarer Zielsetzung und Profilbildung erfüllt und gleichzeitig könnte unter deutlicher Absetzung vom Gemeinschaftsschulmodell eine attraktive bildungspolitische Alternative und Akzentsetzung erreicht werden. 

Eine solche zweite Säulenstruktur neben dem Gymnasium wäre vermutlich mit dem Namen der „Mittelschule“ gut definiert. Diese Bezeichnung bildet zutreffend die Stufung zwischen der Primarstufe und der Sekundarstufe II ab. Zugleich wäre in ihr sowohl die Hauptschule/Werkrealschule wie auch die Realschule aufgehoben im Sinne der Hegel’schen zweifachen Wortbedeutung des Bewahrens und des Emporhebens.

Konkret heißt das: Die Diskussionen heute – z. B. über die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg – dürfen sich nicht an vordergründigen Strukturfragen orientieren, sondern bedürfen wieder der Tiefe und des intellektuellen Niveaus auf welcher die Väter der Verfassung sich des Themas Bildung und Erziehung angenommen haben.

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